Dr. Stefan Rother ist Diplombiologe und Regenwaldschützer.
Als Gründungsmitglied des gemeinnützigen Frankfurter Vereins TROPICA VERDE e.V. engagiert er sich seit über 30 Jahren für den Schutz von Tropenwäldern und des großen Soldaten-Aras (ara ambiguus).
Wir konnten mit ihm ein Interview führen, in dem es um die aktuelle Lage des Großen Soldatenaras, auch Bechstein-Ara genannt, in Costa Rica geht. Zudem verrät er Tipps und Tricks zum Anbringen von Nisthilfen in schwindelerregenden Höhen. Ausserdem erläutern wir, warum auch Menschen bald Waldmandeln essen könnten.
Stefan, vielen Dank, dass Du Dir Zeit für ein Interview nimmst. Du hast uns neulich ein Video geschickt, wo man sieht, wie jemand eine Nisthilfe für den Großen Soldatenara in einer Höhe von gefühlt 60 Metern anbringt. Dabei hängt der Arbeiter nur an einem Kletter-Seil. Wie kommt man denn auf so eine Idee?
Und: Kann sowas überhaupt funktionieren?
Prinzipiell stammt die Inspiration zu künstlichen Nisthilfen für den großen Soldatenara aus den langjährigen Erfahrungen des Ara-Projekts nahe Manzanillo an der Südkaribikküste Costa Ricas. Die Aras haben von Natur aus eine enge Symbiose mit dem Waldmandelbaum (Dipteryx panamensis) als Futter- und Nistbaum, dessen Bestand in Costa Rica im letzten Jahrhundert deutlich zurückgegangen ist. Nur Waldmandelbäume, die mehr als 60 Jahre alt sind, verfügen über ausreichend große natürliche Baumhöhlen, damit die Aras dort Nester bauen können. Die Vögel sind nämlich so groß, dass sie nur in solch tiefe Höhlen hineinpassen.
Von diesem ausgewachsenen Bäumen gibt es leider nur noch sehr wenige…
Im Ara-Projekt Manzanillo hat man gelernt, dass ausgewilderte große Soldatenaras auch künstliche Nisthilfen annehmen, wenn sie in ausreichender Höhe positioniert werden. Diese Erfahrungen wollten wir in Zusammenarbeit mit erfahrenen Experten des Ara-Projekts gerne nutzen. In einem unserer Naturreservate, der „Reserva Kinkajou“ bei Horquetas de Sarapiqui, beobachten wir in den letzten Jahren ein regelmäßiges Vorkommen der Aras. Außerdem konnten wir kürzlich Aras beobachten, die in einem alten Affentopfbaum, einem weiteren Futterbaum, eine natürliche Höhle verbreitern wollten. Sie wollten dort also nisten, wobei dies letztendlich wegen der zu kleinen Höhle und des harten Holzes scheiterte. Da es in dem Reservat keine alten Waldmandelbäume gibt, kam uns die Idee, dass wir den Aras einige künstlichen Nisthilfen anbieten möchten, die wir Anfang 2023 installierten.
Aha, Ihr hofft also, dass es zu einem Nisterfolg kommt. Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit dafür?
Erfahrungen zeigen, dass ca. 25% der angebotenen Nisthilfen dann letztlich auch genutzt werden. Bei den drei angebrachten künstlichen Nestern ist die Wahrscheinlichkeit, dass eines genutzt wird, also durchaus vorhanden. Wir haben es übrigens geschafft, eine Nisthilfe am besagten Affentopfbaum anzubringen, an dem es die beobachteten Nistversuche gab. Da haben wir eine gewisse Hoffnung, dass die Aras dieses Nest zukünftig nutzen.
Das klingt ja so, als könne man gar nicht an jedem beliebigen Baum eine Nisthilfe anbringen. Wie geht man denn genau vor beim Aufhängen und welche Bedingungen müssen erfüllt sein?
Das Aufhängen von Nisthilfen ist nicht trivial und bedarf zunächst einer guten Analyse des Waldes und der Auswahl potentiell geeigneter Bäume. Die ausgewählten Bäume müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllen wie zum Beispiel eine Mindesthöhe von > 35 m. Sie müssen das Kronendach erreichen bzw. durchbrechen.
Es dürfen am Ort der Nestinstallation keine morschen Äste vorhanden sein, die beim Besteigen oder später herunterbrechen könnten. Zudem sind andere Sicherheitsbelange für den Kletterer zu berücksichtigen.
Welche Risiken gibt es hier noch?
In einem Baum hat eine Bienenkolonie in der Baumkrone unseren Spezialisten angegriffen. In dieser Höhe ist das kein Spaß und wir mussten diese Nestinstallation abbrechen. Denkbar sind auch Giftschlangen, Kugelschuss-Ameisen und andere Tiere im Baum, welche den Kletterer gefährden können. Umso wichtiger ist es, dass man eine ausreichende Anzahl an Bäumen im Vorfeld festlegt. Wir hatten sechs Bäume ausgewählt, letztendlich waren aber nur drei geeignet, um Nisthilfen anzubringen.
Was ist beim Bau und der Installation der Nester weiterhin wichtig?
Zum Bau der Nester verwendet man große Plastik-Tonnen, die mit Kokosfasern und Holzbrettern getarnt werden. In diese werden 2 Öffnungen gefräst: Die quadratische, verschließbare Öffnung dient dem späteren Kontroll-Monitoring, während die zweite runde Öffnung als Ein- und Ausgang für die Aras dient. Dieses runde Einflugloch wird von Brettern verkleidet, an denen sich die Aras beim Landeanflug zunächst festkrallen können. Und hier kommt ein kleiner Trick hinzu, den die Spezialisten für den Nestbau über Jahre gelernt haben: Wenn man das Loch in den Holzbrettern etwas kleiner wählt, als dass die Aras durchpassen würden, werden diese selbständig mit ihren Schnäbeln das Loch so vergrößern, sodass sie bequem durchschlüpfen können.
Ist das ein Trick, damit die Vögel es als ihr eigenes Nest akzeptieren?
Genau. Bei der Positionierung der Nisthilfen ist es auch wichtig, dass diese im Schatten des Baumstamms und der Krone befestigt sind, damit die Nester nicht zu heiß werden. Außerdem sollten die Nisthilfen über benachbarte Baumkronen ragen, damit sie für die futtersuchenden Aras sichtbar sind.
Und wieviel kostet das Anbringen einer künstlichen Nisthilfe mit Material, Transport und so weiter?
Je nachdem wie schwierig das Gelände ist und wie weit die Transportwege sind muss man in Costa Rica etwa mit 500-800 USD pro Nest kalkulieren. Pro Nest muss man zeitlich 1-2 Tage einkalkulieren, da immer mit Unwägbarkeiten zu rechnen ist.
Die letzte Frage zum Thema: Wie bekommt man denn überhaupt ein Seil in den Baum? Unten sind im Regenwald ja keine Äste an den großen Bäumen, da sie im Laufe der Zeit ausgeschattet werden.
Das ist in der Tat kein einfaches Unterfangen. Unser Spezialist Duaro nutzte dazu einen knapp 60 g schweren, mit Sand gefüllten Beutel, der an einer 100 m langen Nylonschnur befestigt wird. Mit einer großen, an einem Ast befestigten Schleuder wird der Beutel dann zielgenau in eine Astgabel auf über 35 m Höhe geschossen. Es war für uns ziemlich beeindruckend, dass Duaro es bei zwei Baumriesen bereits beim ersten Schuss schaffte, die weit oben befindliche Astgabel, mitten durch viel sonstiges Geäst, genau zu platzieren. Nachdem die Schnur über die Astgabel gelegt war, wurde das Kletterseil mit der Schnur verknüpft und ebenfalls über die Astgabel gezogen. Dieses Kletterseil diente dazu, dass Duaro mit viel Beinarbeit nach oben klettern konnte, um zunächst die Qualität der Nestposition in der Baumkrone zu beurteilen. Erst nachdem diese als geeignet bestätigt wurde, wurde das ca. 15 kg schwere künstliche Nest nach oben gezogen und sicher vertäut. Und nun heißt es warten, denn die Chance, dass später einmal die Aras einziehen liegt eben nur bei 25%. Wir sind gespannt!
Schon beeindruckend was Ihr dort auf die Beine gestellt habt.
Lass uns nun noch etwas über die Genetik des großen Soldatenaras in Costa Rica sprechen. Bei kleinen Populationen und Gefahren wie der aktuell grassierenden Vogelgrippe, bei der auch Geier und Pelikane sterben, ist es wichtig, dass wir einen möglichst breit aufgestellten Genpool innerhalb der Vogelarten haben. Damit wären die Tiere resistent gegenüber solchen Einflüssen.
Das Projekt Ara Manzanillo hat es geschafft, etwa 100 Tiere auszuwildern. Ein großartiger Erfolg. Allerdings sind die Brutpaare verbrüdert.
Die nächste bekannte natürliche Population ist nördlich von Limón (etwa 70 KM). Uns liegen Informationen vor, dass sich einige der ausgewilderten Tiere von Manzanillo in Costa Rica nördlich nur bis Cahuita (etwa 20 KM Luftlinie) und südlich bis zum Feuchtgebiet San San Pond Sak in Panama (etwa 50 KM Luftlinie) bewegt haben. Da fehlt also noch ein gutes Stück, um Anschluss an die natürliche Population zu finden.
Die costarikanischen Naturschutzbehörde MINAE erlaubt ausserdem dem Vernehmen nach keinen Umzug der Tiere der Aufzuchtstation, um diese in Bereiche mit natürlicher Population auszuwildern. Auch ein Austausch der verschiedenen Erhaltungszuchten in Costa Rica wird wohl nicht erlaubt. Wie siehst Du diese Thematik und hast Du einen Lösungsansatz?
Eine Isolation von kleinen Populationen ist natürlich immer problematisch, denn ein guter Genaustausch reduziert Inzucht und andere Probleme. Ursprünglich lag das Verbreitungsgebiet der Großen Soldatenaras entlang der gesamten mittelamerikanischen Karibiküste von Honduras bis Kolumbien. In Costa Rica waren die Vögel noch im 18. Jahrhundert über die gesamte Karibikregion verbreitet. Eine Verbindung der ursprünglichen Nord- und Südpopulationen wäre sicher ein großer Schritt dahin, den Genaustausch zu verbessern und der Gesamt-Population ein langfristiges Überleben zu sichern. Inwiefern die Etablierung von Auswilderungsprojekten und der Schutz von isolierten Populationen zu dieser Verbindung effizient beitragen kann, werden die nächsten Jahrzehnte zeigen.
Was wäre in Deinen Augen die wichtigste Maßnahme?
Die wichtigste Maßnahme ist und bleibt der Erhalt von geeigneten Lebensräumen, damit sich die regionalen Ara-Populationen auf natürliche Weise verbreiten können.
Prinzipiell glaube ich, dass die Chancen für eine Vereinigung der Süd- und Nordpopulation nicht ganz so schlecht stehen. Die Aras sind bekannt dafür, dass sie auf der Suche nach leckeren, früchtetragenden Bäumen große Entfernungen überwinden. Es scheint nicht so zu sein, wie früher angenommen, dass sie nur intakte Waldgebiete überfliegen. Ich konnte selbst immer wieder Brut-Paare beobachten, die auch über Plantagen oder entlang großer Straßen flogen, um neue Gebiete zu erkunden. Wichtig ist einfach, dass diese Gebiete ausreichend Nahrung liefern. Und wenn hier auch noch Nistmöglichkeiten existieren, umso besser. Wir von Tropica Verde sehen einen „Paso de Lapa Verde“ wie wir einen durchgängigen biologischen Korridor für die seltene Vogelart nennen, als im Bereich des Möglichen in den nächsten 20-30 Jahren.
Zudem verfolgen auch andere wissenschaftlich begleitete Projekte wie Jocotoco in Ecuador den Ansatz, Korridore zu verbinden, um einen Austausch von isolierten Populationen zu ermöglichen.
Des weiteren ist aus Untersuchungen bekannt, dass die Tiere ausserhalb der Brutzeit mit Kundschaftern arbeiten, welche nach Futterbäumen Ausschau halten und bis zu 150 KM pro Tag zurücklegen können.
Generell bist Du also sehr zuversichtlich?
Sagen wir es mal so: In den letzten 10 Jahren ist bei mir die Zuversicht gewachsen, dass sich die bedrohte, existierende Population in Costa Rica, wir reden hier von nur ca. 300-500 Vögeln, stabilisieren und hoffentlich auch wachsen kann. Ein schönes Beispiel dafür sind auch die Beobachtungen von kleineren Gruppen der Großen Soldatenaras in unseren Naturreservaten wie zum Beispiel der Finca Curré, in der in den letzten 30 Jahren keine Aras beobachtet werden konnten. Dies ist seit Anfang 2022 wieder der Fall, was uns sehr freut. In diesem Naturreservat ist es auch gar nicht nötig, künstliche Nisthilfen anzubringen, weil wir dort bereits 1992 einen Primärwald mit sehr alten Waldmandelbäume und andere seltene Bäume dauerhaft schützen konnten.
Und diese dienen heute als Futter- und potentielle Nistbäume…
Das zeigt mal wieder: der Schutz von Lebensraum stellt für den großen Soldatenara die wichtigste Maßnahme für seinen Erhalt dar.
Ja, der Schutz von Lebensraum nützt auch vielen anderen Arten und fördert die pflanzliche und tierische Artenvielfalt. Die Aras sind gewissermaßen eine Schirmspezies deren Erhalt mit dem vieler anderer Arten einhergeht. Ein schönes Beispiel hierfür ist der anfangs erwähnte Affentopfbaum, an dem wir kürzlich eine Nisthilfe anbringen konnten: Die außerordentlich harten Samenkapseln müssen von den Aras in artistischer Weise kopfüber geöffnet werden, damit die nussartigen leckeren Samen zum Vorschein kommen. Wenn die Aras ihre Köpfe in die Kapsel stecken, fallen viele Samen auf den Waldboden und sind dort eine wertvolle Nahrungsquelle für viele kleine und große Säugetiere. Und diese werden dann wieder von Raubkatzen und anderen Räubern gejagt. Ein Musterbeispiel für biologischen Zusammenhänge im intakten Regenwald.
Begleitende Maßnahmen, wie die Aufforstung biologischer Korridore mit nativen Baumarten können langfristig ebenfalls zur Stabilisierung der Ara-Populationen beitragen. Aber solche Aufforstungen müssen wie bereits erwähnt mindestens 60 Jahre wachsen, um ausreichend große natürliche Nisthöhlen zu liefern. Eine ziemlich lange Zeit! So hoffen wir, dass künstliche Nisthilfen auch etwas zum Ausbreiten der Population beitragen und den dauerhaften Erhalt dieser einzigartigen, farbenprächtigen Vögel unterstützen.
Diese Hoffnung teile ich.
Neulich hast Du mir erzählt, dass es im Norden Costa Ricas nun Bestrebungen gibt, Waldmandeln auch für den Menschen als Nahrungsmittel zu nutzen. Daraufhin habe ich etwas recherchiert und ein Rezept aus Nicaragua gefunden, das wirklich köstlich klingt: Frisch zubereitetes Waldmandelmuß gemischt mit Kokoswasser oder Milch und mit Zimt und Zucker abgeschmeckt. Soll sogar ein Aphrodisiakum sein.
Nur nehmen wir so den Tieren nicht wichtige Nahrungsmittel, wenn wir den Konsum von Waldmandeln durch den Menschen fördern? Und gibt es dafür überhaupt genügend Nachfrage?
Ja, es ist unter Leitung unserer Partnerorganisation CCT (Centro Cientifico Tropical) ein Pilotprojekt im Norden Costa Ricas gestartet worden, das darauf ausgerichtet ist, alte Waldmandelbäume vor der Abholzung zu bewahren. Das gelingt natürlich vor allem dann, wenn die Besitzer der Flächen, auf denen die Bäume stehen, ebenfalls von deren Schutz profitieren. Eine „win/win“ Situation für Aras sowie weitere Tierarten und auch die Kleinbauern. Wie soll das funktionieren? Die Aras nutzen nur die Samen, die am Baum wachsen. Ein Großteil fällt aber zu Boden. Ein kleiner Teil davon wird von Säugetieren genutzt. Und so können die Kleinbauern mehr als 50% der auf den Boden gefallenen Samen sammeln, trocknen und rösten ohne mit den Tieren in Konkurrenz zu stehen. Ob sich daraus eine echte Zusatzeinnahme für die Bauern generieren lässt, muss man natürlich abwarten. Erste Ansätze sind jedoch vielversprechend.
All diese Maßnahmen sind kleine, positive Schritte, um den einzigartigen Lebensraum Regenwald mit seinen vielfältigen Bewohnern langfristig zu erhalten und einen wichtigen Beitrag zur Artenvielfalt liefern.
Sehe ich auch so. Wir von Tropica Verde werden uns auch weiterhin dafür einsetzen und freuen uns über jede Unterstützung.
Stefan, vielen Dank für diese Einordnung und die Neuigkeiten rund um Regenwald, Waldmandelbaum und den großen Soldatenara.
Das Interview führte Andreas von Plantaciones Edelman.
Vielen Dank für die News, die tollen Fotos der Bäume und eure Arbeit!
Hier noch ein Link zu den Kunstnestern. Wenns wer als Video will. Da gibts Stephan und Duaro live.
https://yewtu.be/watch?v=dBiTffckEVc